Mit dem Fahrrad auf dem Stern Hamburgs

Zwei Perspektiven der Hamburger Fahrradsternfahrt

Sternenfahrerin

8 Uhr morgens. Wedel. Langsam füllt sich der Platz vor dem Rathaus. Auf der Suche nach bekannten Gesichtern begegnet man einigen, die man schon aus dem Vorjahr oder aus dem Jahr davor oder aus dem Jahr davor kennt. Die 25. Fahrrad-Sternfahrt – für viele bereits Tradition. Es werden Fähnchen verteilt. Doppelseitig bedruckt. Fahrrad Sternfahrt steht auf der einen Seite, Hamburg gibt Acht auf der anderen. Es ist ja schließlich mehr als eine nette Fahrradtour mit vielen netten Leuten. Es ist ja eben eine Demonstration. Für mehr sicheren Fahrradverkehr in Hamburg. Für klimafreundlichen Verkehr. Die Fahnen zeigen: Wir gehören zusammen. Wir stehen gemeinsam für etwas ein. Und die läutenden Klingeln verraten: Wir haben sogar Spaß dabei. 

Eine kleine Sicherheitsanweisung noch: Zusammenbleiben und wer eine Panne hat fährt rechts ran. Und dann ist es 8:15. Die Polizei fährt voraus und macht die Straße für uns frei. Das Wetter ist schön und die Laune ist gut, als wir den Wedeler Rathausplatz dann pünktlich verlassen. Ca.70 Kilometer liegen vor uns. Aus allen Teilen Hamburgs und umliegenden Orten kommen Fahrradfahrer sternenförmig auf das Zentrum zugefahren. Dabei ist wohl am wichtigsten: jeder eben so wie er kann. Ein Stück der Route mitzufahren reicht völlig. Dann ist ein Zeichen gesetzt und man hat vielleicht nette Menschen kennengelernt. Denn unter Fahrradfahrern versteht man sich. 

Fähnchen der Fahrradsternfahrt
Foto: JK

Ein gemütliches Tempo lässt die Kilometer bis nach Blankenese vorbeifliegen und am Bahnhof Blankenese schließen sich viele laute Klingeln unserem Zug an. Nun sind wir schon richtig viele Menschen. Die ersten Musikboxen wummern im Hintergrund. Spannend, was man sich einfallen lassen kann, um auf keine musikalische Begleitung beim Radfahren verzichten zu müssen. Mehr Menschen, mehr Gesichter, lautere Klingeln, mehr Stimmen, aber vor allem mehr Fahrräder und interessantere Konstruktionen. Liegeräder in allen Formen und Farben, Tandems, Rennräder, E-Bikes, Roller, Mountainbikes, Hollandräder, Einräder, Hochräder, und eben jene Fahrräder, die aussehen, als hätten sie schon viele Stunden im Regen verbracht. Ein Paradies für jeden Fahrradliebhaber. Hier gibt es auf jeden Fall genug zu sehen. Und man braucht ja nur mal nachfragen, denn hinter fast jedem Fahrrad steckt eine Geschichte. Und wer nicht reden will, der fährt einfach so vor sich hin. Denn das ist ja das schöne am Fahrradfahren. 

Am Altonaer Balkon wird es dann richtig voll. Menschen stehen an ihren Fenstern und winken uns zu und wir winken den Autofahrern zu, die, vielleicht ein bisschen genervt, an den Kreuzungen stehen und nicht weiterkommen. Mittlerweile sind es so viele Menschen, dass es gar nicht mehr möglich ist zu sagen, ob man weiter vorn oder weiter hinten ist. Überall nur Fahrradfahrer. Überall Menschen. Und dann tritt immer wieder ein unter Autofahrern bekanntes Phänomen auf: Stau. Bei so vielen Fahrrädern gibt es nun also Fahrrad-Stau auf den Straßen Hamburgs. Doch die kleinen Pausen werden genutzt um ausreichend zu trinken und das mitgebrachte Brot zu essen. Desto länger wir stehen, desto länger stehen die Autos und das ist schließlich Teil des Plans. Und beim Stehen kann man sich die Plakate und Sprüche gut anschauen, die auf Fahnen und Fahrrad-Anhängern geschrieben sind. 

Radfahrer mit Plakat
Foto: JK

Und da fällt auf, eine Person ist doch immer dabei, wenn es um Klimaschutz geht. Riesengroße grüne Buchstaben betiteln die Fahrräder als „Greta than cars.“ Orientiert an der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg, spielt der Slogan mit ihrem Namen und dem englischen Ausdruck „greater“, also besser. Und die Highlights der Strecke von Wedel nach Hamburg kommen ja noch. Denn die Erfahrung mit dem Fahrrad über eine gesperrte Autobahn zu fahren nehmen alle gerne mit. Hier rollt es auch gleich viel besser, die Straße ist breit, es ist genug Platz für alle da. Zum Ende der Strecke dann die Köhlbrandbrücke. Hoch wird geschoben, denn eine Baustelle verengt die Fahrbahn und verursacht Stau. Doch beim Runterfahren rollt es dann umso besser. Zu der Kundgebung um 15 Uhr auf dem Rathausmarkt in Hamburg kommen wir trotzdem ein wenig zu spät. Vielleicht standen wir dann doch ein bisschen zu viel, gerade zum Ende hin. Aber wirklich ärgern tut sich keiner. 

Fahrrad-Sternfahrt. Bei gutem Wetter ist ein Gemeinschaftsgefühl entstanden. Alle für den guten Zweck. Und nach einigen Kilometern Fahrrad fahren kann man auch schonmal stolz auf sich sein. Ich bin stolz auf uns. Und ich bin auf jeden Fall beim nächsten Mal wieder dabei. Weil mit hübschen Plakaten auf die Straße gehen kann jeder. Aber sieben Stunden Fahrrad fahren und sieben Stunden den Hamburger Autoverkehr erschweren, dass kann nur die Hamburger Fahrrad-Sternfahrt.

Text: FS

Sternengucker

Stellt Euch vor, Ihr steht am Strassenrand und wollt die Fahrbahn überqueren. Der Verkehr ist aber so dicht, dass Ihr keine Lücke ausmachen könnt, in der Ihr mal eben rüberflitzen könntet. Es ist wie ein kontinuierlicher Strom aus Fahrzeugen, der scheinbar nie versiegen will. Weit und breit gibt es weder Zebrastreifen noch Fußgängerampel, die Euch helfen könnten. Merkwürdig erscheint Euch, dass dieser Fluss aus Fahrzeugen keine lauten Fahrgeräusche macht und nicht stinkt und alle Fahrzeugführer freundlich dreinschauen. Ein Traum? Nein! Genau so ist es mir heute mitten auf der Köhlbrandbrücke ergangen.

Verbotsschilder an der Köhlbrandbrücke
Foto: JK

Heute, am 2019-06-16, war große Fahrradsternfahrt. Und aus diesem Anlass durften Fahrradfahrer ausnahmsweise in einer Richtung die Köhlbrandbrücke befahren. Jene große Brücke über den Köhlbrand, die sonst ausschließlich Kraftfahrzeugen, also stinkenden Lastern und lauten Autos vorbehalten ist.

Einen herrlichen Ausblick hat man als Radfahrer von dort oben über Stadt und Hafen.

Mit den ersten Polizisten auf Fahrrädern war ich vor dem großen Fahrräderstrom bereits ganz oben auf der Brücke. Und dann kam um 13:25h der Pulk die Steigung hinauf. Erstaunlich, wie viele Menschen aus Hamburg und Umgebung dem Aufruf zur Fahrradsternfahrt gefolgt sind und sich trotz des über den Vormittag immer grauer werdenden Wetters dem Zug angeschlossen haben und so nun die Köhlbrandbrücke erfahren. Viele zücken spontan Ihr Handy um mit der eingebauten Kamera einen Blick von hier oben einzufangen.

Ich stehe neben einem Polizisten am Fahrbahnrand und bin einfach nur erstaunt darüber, dass dieser Pulk nicht enden will. Schon bin ich versucht zu denken, dass es sich immer wieder um dieselben Fahrradfahrer handelt, die irgendwie immer im Kreis fahren. Aber das lassen die Gewässer da unten gar nicht zu! Es sind tatsächlich soo viele. Es sind alle Arten von Fahrrädern dabei: normale alltagstaugliche Fahrräder, Kinderfahrräder, Liegeräder, Tandems, Einräder, Falträder, selbstgebaute Fatbikes, sportlichste Rennräder, Rennrollstühle, doppelt hohe Fahrräder, E-Bikes, stromlinienförmig vollverkleidete Bikes, Tretroller, Lastenfahrräder, Mountainbikes, Fahrräder mit Anhängern (beladen mit Kindern, Hund, Getränken, einer ganzen Discothekensoundanlage oder Demontrationstransparenten) und Polzeifahrräder. Und genauso vielfältig verschieden wie die Räder sind auch deren Fahrer.

Radler auf der Köhlbrandbrücke
Foto: JK

Erst um 14:30h werde ich zusammen mit den letzten Radlern sozusagen vom Besenwagen der Polizei freundlich von der Brücke gefegt und die Köhlbrandbrücke gehört endlich wieder den Autos. Nun stimmt mit der Stadtsilhouette wieder alles.

Dieser über eine Stunde andauernde kontinuierliche Strom aus Fahrradfahrern und ihren Fahrrädern hat mich sehr beeindruckt.

Ich hoffe sehr, dass dieses Großereignis von Medien, Politik und Verwaltung wahrgenommen wird und man erkennt, dass es sehr viele Menschen mit dem Fahrradfahren ernst meinen und dieser sehr umweltfreundlichen Großdemonstration bald verkehrspolitische Konsequenzen folgen.

Text und Bilder: JK

Die Fahrradsternfahrt fiel auf den letzten Tag des Wedeler Stadtradelns. Was für ein Glück für unseren Kilometerzähler!