Bericht über einen Besuch in dem Unverpackt-Laden„Loses Mundwerk“ in Hamburg-Rissen

Unverpacktladen Loses Mundwerk in HH-Rissen

(der Beitrag enthält Werbung)

Unverpacktladen "Loses Mundwerk" in Hamburg-Rissen
Unverpacktladen „Loses Mundwerk“ in Hamburg-Rissen

Am 2.12.22 haben Ute, Simone, Diego, Jörn und ich von „Wedel im Wandel“ den Unverpackt-Laden „Loses Mundwerk“ in Hamburg-Rissen besucht, um uns den Laden anzusehen und uns mit der Inhaberin auszutauschen und zu vernetzen. Die Gründerin und Ladeninhaberin, Dorit, hatte schon 2016 die Idee für diesen Unverpackt-Laden, weil sie ihren Beitrag leisten wollte, Verpackungsmüll zu reduzieren. Im September 2021 wurde der Unverpackt-Laden nach einjähriger Vorbereitung eröffnet. Schon seit vielen Monaten stand nur noch das Thema Corona im Vordergrund und Nachhaltigkeit rückte medial in den Hintergrund. Trotz der schwierigen Umstände ist es Dorit mittlerweile gelungen, den Laden immer bekannter zu machen und eine kleine Stammkundschaft aufzubauen.

Wir vom „Wedel im Wandel“ haben uns zunächst vor dem Unverpackt-Laden getroffen und dabei fiel uns sofort die liebevolle Weihnachts-Dekoration der beiden Schaufenster ins Auge. Dorit teilte uns anschließend mit, dass sie diese Dekoration (kleine Stern-Girlanden, Schneeflocken aus Watte und stilisierte Weihnachtsbäume aus Karton, siehe Foto oben) in stundenlanger Arbeit selbst angefertigt hat. Die Schaufenster und Ladendekoration werden entsprechend der Jahreszeit auch immer wieder geändert. Beim Rundgang durch den geräumigen Laden ist uns auch positiv aufgefallen, dass er harmonisch (warme dezente Pastell-Töne), stillvoll und liebevoll eingerichtet ist. Wir haben uns jedenfalls sofort dort wohl gefühlt und uns erst einmal im Laden umgesehen und uns mit dem umfangreichen Sortiment vertraut gemacht: Bio-Lebensmittel, Naturkosmetik, Öko-Reinigungs-mitteln und die Zero-Waste-Haushaltswaren werden ergänzt durch bezauberndes Kinderspielzeug, umweltfreundliche Schreibwaren, interessante Bücher u.v.m. Besonderer Tipp von Dorit: die Haselnüsse aus deutschem Anbau, die Cashews mit Rosmarin & Thymian, und vor allem die veganen schokolierten Marshmallows, die sehr lecker schmecken (das kann ich bezeugen, weil ich sie selbst gegessen habe).

Wasch-, Putz- und Körperpflegemittel im Losen Mundwerk
Lose Ware im Losen Mundwerk

In diesem Unverpackt-Laden werden, wenn möglich, bevorzugt regionale Produkte angeboten. Für die unverpackte Ware ist es natürlich am besten, wenn der Kunde Stoffbeutel, Gläser oder Dosen mitbringt, aber man kann dort auch Behälter kaufen oder von Kunden gespendete Gläser kostenlos erhalten. Die Behälter wiegt man vor dem Befüllen, damit man auch nur den Inhalt bezahlt.

Abschließend haben wir uns noch mit Dorit über die allgemeine Situation der Unverpackt-Läden ausgetauscht. Aufgrund der aktuellen Situation, mit den Herausforderungen wie Coronakrise und Preissteigerungen aufgrund von erhöhten Energiekosten, haben es auch Unverpacktläden momentan sehr schwer. In Hamburg haben bereits drei Unverpacktläden in diesem Jahr schließen müssen, ein vierter meldete Insolvenz an und wurde in letzter Sekunde übernommen.

Uns von „Wedel im Wandel“ ist es daher ein großes Anliegen, dass dieser sympathische Unverpackt-Laden mit der engagierten Inhaberin im Zentrum von Hamburg-Rissen uns noch lange erhalten bleibt und wünschen Dorit weiterhin viel Erfolg und natürlich möglichst viele Kunden.

Adresse

Unverpackt-Laden „Loses Mundwerk“
Inhaberin: Dorit Hinrichsen
Am Rissener Bahnhof 15
22559 Hamburg

Tel. 040 – 33 44 12 34
Handy: 0152 – 08 07 53 66
Webseite: www.losesmundwerk.de
Mail: losesmundwerk@posteo.de


Öffnungszeiten
Mo – Fr 9 -19 h, Sa 9 – 16 h

Anfahrt
der Unverpacktladen befindet sich unmittelbarer Nähe der S-Bahn Station „Rissen“ (S1)


Nachtrag

Ich habe Dorit einen von mir hergestellten „Beutelbaum“ angeboten, der aller Voraussicht im Januar 2023 im Unverpackt-Laden stehen wird und für Kunden Stoffbeutel bereit hält.

Beutelbaum


gez. Ralf Manthey, 3.12.2022

SCHWEINEFLEISCH AM TROCKENSEE

SCHWEINEFLEISCH AM TROCKENSEE

Gedicht anlässlich der nur Schweinefleisch- und Zuckerkuchen-Verköstigung beim Sommerfest am fast ganz ausgetrockneten Wald-See am 1.9.2019

Kommt. Leute, lasst´ uns Wandlung schaffen,
´ne Wirtschaftsform, die nicht zerstört –
den Wahnsinn nicht mehr stumm begaffen,
gemeinsam wird man auch gehört!

Mensch, Leute, verringert euren Fleischkonsum –
das tut dem Klima gut.
Denn auch Fleisch bringt´s Klima um –
dazu habt ihr doch den Mut?

Gewohntes auch mal zu verändern –
mehr Erbsen, Linsen Bohnen –
damit nicht bald in fernen Ländern
statt Wald nur Sojabohnen wohnen!

Gewohnheiten sind oft – wie zu viele Sachen –
Dinge, die nicht nur dem Klima 
echt zu schaffen machen!

Froh und glücklich  – das ist prima! –
woll´n wir leben und gesund.
Was schafft wirklich tiefe Freude? 
Kein Einheits-Grau – wir lieben´s bunt.

Manches, das uns sehr erfüllt,
wie Schnacken, Tanzen, Singen – 
auch die Natur als Wohltat fühlt – 
so kann ihr Schutz gelingen.

Kaum was braucht´s aus ihrem Bauch –
kaum Öl, kein WLAN und kaum Geld.
Lassen ist ein guter Brauch
und ein Segen für die Welt!

Marian René Menges

Ist SUV heilbar?

SUV-Plakat

„Ist SUV heilbar?“ fragte mich neulich eins der vielen auf einer Fridays for future-Demo gezeigten Plakate in Hamburg. Fast habe ich den schönen Spruch schon wieder vergessen als mich heute morgen auf dem Weg zur Arbeit mein Linienbus an einem großen SUV-Werbeplakat im Vorgarten eines ortsbekannten Autohändlers, der hier lieber nicht genannt werden soll (die SUVs der anderen Händler und Hersteller sind nicht besser oder schlechter), vorbei chauffiert.

„Ist SUV heilbar?“ saust mir da die Frage wieder durch den Kopf. Ja, es könnte sich um eine schlimme, grassierende Krankheit handeln, für die ein Impfstoff noch immer nicht gefunden wurde.

Gestern habe ich mitten in Hamburg an einer sechsspurigen Strasse direkt an einer Kreuzung eine ganze Weile auf jemanden warten dürfen. Was ist das eine Zumutung für die Leute, die hier direkt an dieser Strasse wohnen, dieser permanente Gestank der Abgase, dieser nicht enden wollende Lärm. Schrecklich!

Wenn man zum Beispiel auf den Bus wartend an der Strasse steht und in die vorbeifahrenden Autos schaut, sieht man darin selten mehr als eine Person, die sich, trotz dichten ÖPNV-Netzes (Öffentlicher Personennahverkehr) bemüssigt fühlt, lieber Teil des MIVs (motorisierten Individualverkehrs) zu sein. Und die Autos werden immer schwerer und größer damit sie all die gewünschten tollen Sicherheitsfeatures und mindestens den Komfort eines komplett eingerichteten Wohnzimmers mit sich herumschleppen können. Und ganz oben in dieser Hackordnung stehen die SUVs, die sogenannten Sport Utility Vehicles.

suv-Plakat

„Sport Utility Vehicle, abgekürzt SUV, oder Geländelimousinen sind Personenkraftwagen mit erhöhter Bodenfreiheit und einer selbsttragenden Karosserie, die an das Erscheinungsbild von Geländewagen angelehnt sind.“ erklärt mir Wikipedia. Und weiter: „Die Geländetauglichkeit ist von Modell zu Modell sehr unterschiedlich, Allradantrieb ist zum Beispiel bei diversen Modellen gar nicht lieferbar. Dies begründet sich aus dem Umstand, dass viele Fahrzeughalter ihre SUV überwiegend oder ausschließlich im Straßenverkehr nutzen. Auch die Serienbereifung der meisten SUV ist für ernsthaftes Fahren im Gelände kaum bis nicht geeignet.“ Also nix Sport, nix Gelände, einfach nur unsinnig riesig! Einsatzgebiete: Großstadt als Elterntaxi, Einkaufswagen und die Kurzstrecke zwischendurch und: Repräsentieren, so richtig zeigen, was wir uns leisten können. Überlandfahrt, Gelände? Oh, bloss nicht, der gute Lack könnte ja schmutzig werden und das wollen wir ja nicht.

Und davon gibt es dann aber gleich ganz viele: „In Deutschland wurden 2016 3.351.607 Pkw erstmals zugelassen; 715.268 davon (21,3 %) waren Geländewagen und SUV.“

Etwa achtzig Kilogramm Lebendgewicht werden mit fast zweieinhalb Tonnen Metall und Plastik umgeben und so unter reichlich Belastung der Umwelt von Ortsteil A nach Ortsteil B transportiert.

Auf dem Plakat beim Autohändler heißt es in der Bildunterschrift: „Ausdruck innerer Stärke“. Hübsches Wortspiel, so mit aus und in. Nach meinem Eindruck ist da keine Stärke drin. Irgendjemand ist da so schwach, dass er ein Exoskelett nötig hat. My car is my castle! Andere Menschen und Umwelt müssen draußen bleiben. Und die Tür bleibt zu, ganz wie bei der Burg im Hamburger Stadtwappen.

Ich suche spaßeshalber mal die zuständige Internetseite für den plakatierten Wagen auf. Hier haben sich die Marketing- und Werbefachleute des Herstellers, vor allem beim Zubehör, den Ausstattungsfeatures so viel Tolles zusammengeschwurbelt, dass es einem beim Lesen ganz schwindelig wird:
„Was sich unter der Motorhaube des neuen GLE alles verbirgt? Schauen Sie einfach nach und vergleichen Sie hier alle Daten und Fakten.“

Ich klicke mich gleich durch die erste angebotene Variante, natürlich die Version mit der größten, stärksten Maschine (hier nur in Auszügen zitiert):
„Technische Daten für GLE 400 d 4MATIC
Diesel, Automatik

243 (330) / 3600 – 4000 Nennleistung (kW [PS] bei 1/min) Hubraum 2.925 ccm
Zylinderanzahl 6
Kraftstoffverbrauch innerorts 8.9 l/100km

Leergewicht 2.265 kg
Fahrzeuglänge 4.924 mm
Fahrzeugbreite inkl. Außenspiegel 2.157 mm
Beschleunigung 0–100 km/h 5.7 s
Höchstgeschwindigkeit 245 km/h“
Würde ich mit meinem Auto, das ich so selten wie nur möglich benutze, gegen diese Zahlen im Autoquartett antreten, hätte ich laut Zulassungsbescheinigung Teil I bei keinem der Kennwerte auch nur den Hauch einer Chance gegen diesen kranken Boliden wenn es um größer, schneller, mehr geht.

Aber erst jetzt drehen die Werbestrategen richtig auf, jetzt kommen die vielen tollen Pakete, die man dazubuchen kann:
„Mercedes-Benz Intelligent Drive, Aktiver Abstands-Assistent DISTRONIC, Fahrassistenz-Paket Plus, Geschwindigkeitslimit-Assistent, Verkehrszeichen-Assistent, Aktiver Spurhalte-Assistent, Totwinkel-Assistent, Park-Paket mit 360°-Kamera, ENERGIZING Komfortsteuerung, Konnektivität, MULTIBEAM LED Scheinwerfer, Akustik-Komfort-Paket, Night-Paket, Diebstahlschutz-Paket, KEYLESS-GO Komfort-Paket“, um nur einige zu nennen. (Die Preisliste, die zum Download angeboten wird, umfasst zweiundsechzig Seiten. Der Grundpreis für solch ein Fahrzeug beträgt 65.000€ bis 76.000€ inkl. MWSt. Und dann erst kommen all die tollen Ausstattungs- und Zubehörwunder noch oben drauf.)

„Unsere Highlights, für Sie kombiniert.“ heißt es dazu.
Und noch einmal das Wortspiel mit der durch das Fahrzeug zustandekommenden so sehr wünschenswerten Trennung des gefährlichen Außen vom so heimelig sicheren Innen: „Reagiert auf äußere Gefahren mit innerer Gelassenheit.“ Das hört und fühlt sich alles so gut an! Oh ja, das nehme ich! Einmal mit Allem, bitte! Muss man unbedingt alles haben! So wie man neuerdings bei einer Kreuzfahrt auf einem AIDA-Schiff auch eine Original-Almhütte an Bord erwartet.

Das Wort Umwelt, das Außen, das wir lieber einfach gänzlich ignorieren wollen, sucht man übrigens auf der Seite vergeblich.

Nun noch einmal die Frage: Ist SUV heilbar? Ich hoffe es. Undd zwar einfach durch Umdenken!

Text & Bild JK

Die Merkmale einer “Reifen Zivilgesellschaft”

Menschen am Strand

Die sanfte Revolution von unten


© von Ralf Manthey

Die Definition und Ursprünge einer reifen Zivilgesellschaft

Bevor ich näher auf die Merkmale einer „reifen Zivilgesellschaft“ eingehen werde, möchte ich zunächst den Begriff „Zivilgesellschaft“ kurz näher definieren. Im Internet-Duden findet man folgende Definition: „die Zivilgesellschaft ist eine Gesellschaftsform, die durch selbstständige, politisch und sozial engagierte Bürger(innen) geprägt ist“. Und in Wikipedia findet man die Aussage: „….allgemein wird unter dem Begriff „Zivilgesellschaft“ meist der Teil der Gesellschaft verstanden, der nicht durch den Staat und seine Organe (Behörden, Verwaltungen) gesteuert und organisiert wird“. Beide Definitionen stellen für mich die wesentlichen Merkmale  einer „reifen Zivilgesellschaft“ dar. 

In den vielen zurückliegenden Jahrhunderten haben die Menschen immer wieder versucht, sich von Unterdrückung und sozialer Ungerechtigkeit  zu befreien und eine humanere, freiere und sozial (und wirtschaftlich) gerechtere Gesellschaft aufzubauen, mit mehr oder weniger mäßigen Erfolg.  Bereits in der Antike im 5. Jahrhundert vor Christi gab es die ersten Ansätze einer freieren und gerechteren Gesellschaftsform in Griechenland: die Demokratie (Volksherrschaft).  Im Christentum gab es von den zunächst noch wenigen Anhängern die Bestrebungen sozial gerechtere und ethisch fundierte (kleine) Gemeinschaften (bzw. Gemeinden) aufzubauen, basierend auf den 10 Geboten und den Kernaussagen der „Bergpredigt“  (s. Neues Testament). Die Französische Revolution (ca. 1789 – 99) mit ihren bekannten Idealen „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ übte den  folgenreichsten Einfluss auf die europäischen Gesellschaften aus.  Neben den sozialen und politischen Veränderungen, wurden auch zunehmend die religiös-kirchlichen Strukturen- und Machtverhältnisse in Frage gestellt und durch Reformen verändert (s. Reformation). Diese Entwicklung mündete letztendlich in den Ende des 19. Jahrhunderts  aufkommenden sozialistischen und kommunistischen Ideologien und Bewegungen. Der Sozialismus und der Kommunismus basiert aber letztendlich von seinen Grundideen auch auf den urchristlichen Idealen. Auch wenn der Kommunismus durch die Gewaltherrschaften von  Stalin und Mao Tse Tung in krasser Form pervertiert wurden, hatten die theoretischen Wegbereiter dieser Revolutionen grundsätzlich gute Absichten. 

Aber es war und ist der falsche Weg, wenn man bestimmte Ideale den Menschen – ohne gleichzeitigen inneren Reifungsprozess und ohne Freiwilligkeit – auf autoritäre Weise von außen überstülpt.  Dies erklärt, warum sich in diesen revolutionären Systemen, wie z.B. dem Kommunismus, die eigentlich zu einer Befreiung führen sollten,  nach einer gewissen Zeit die gleichen Macht- und Unterdrückungsstrukturen und den damit verbunden Abhängigkeiten, wenn auch mit anderen Vorzeichen, wieder installiert  haben. Somit ist es nicht verwunderlich, dass in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts,  trotz aller Befreiungsbewegungen und Fortschritte, nur ein geringer Teil der westlichen Gesellschaften (i.d.R. waren es die Intellektuellen und Künstler)  eine gewisse geistige Reife aufwies, während ein Großteil der Bevölkerung unreif, unselbständig, angepasst, obrigkeitshörig und abhängig blieb. Besonders das  passive und obrigkeitshörige Verhalten vieler Bürger in Deutschland hat  dazu geführt, dass im  20. Jahrhundert  eine Nazi Diktatur überhaupt  an die Macht kommen konnte, mit den bekannten negativen Folgen.

Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegen  Ende der 60er Jahre (siehe “68er Generation”) konnte sich besonders in den westlichen Ländern in größerer  Zahl ein selbstbewusster, unabhängiger und reiferer Menschentypus herausbilden. Die Vertreter dieses Menschentypus  bilden die sogenannte  „Reife Zivilgesellschaft“.  Vertreter der reifen Zivilgesellschaft findet man inzwischen (im Jahre 2018) in allen Gesellschaftsschichten (vermehrt aber in der gebildeten Mittelschicht) und sie haben einen zunehmenden stärkeren Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen.

Der  amerikanische Soziologe „Paul H. Ray“  hat diesen Menschentypus  als die „Kultur-Kreativen“ bezeichnet. Zusammen mit seiner Frau, der Psychologin Ruth Anderson, hat Paul H. Ray Anfang der 90er Jahre  13 Jahre lang (durch Befragung von Bürgern) die Merkmale dieses Typus näher untersucht und die Ergebnisse in seinem Buch „Wie 50 Millionen Menschen die Welt verändern“ veröffentlicht (das Buch gibt es im Internet zurzeit nur in englischer Sprache). 

Wodurch zeichnet sich nun aber eine reife Zivilgesellschaft konkret aus?  

Die Mitglieder einer „Reifen Zivilgesellschaft“:

– geben sich nicht damit zufrieden, nur alle vier Jahre bei einer demokratischen Wahl ihre Stimme abzugeben, sondern sie wollen  aktiv das gesellschaftliche Leben mitgestalten. Da sie aber gern unabhängig bleiben, trifft man sie eher selten in Parteien und konventionellen Organisationen an. Sie sind aber weder weltfremde Außenseiter noch Einzelgänger, sondern sie arbeiten gern flexibel und vernetzt in Gruppen von Gleichgesinnten mit flachen Hierarchien. Sie gründen z.B. unabhängige Interessensgruppen, Bürgerinitiativen, Stadtteilgruppen, Wohn- und Lebensgemeinschaften, freie Kindergärten und Schulen etc.

– zeichnen sich durch ganzheitliche Sicht- und Lebensweisen aus und  bringen neue und unkonventionelle Ideen und Visionen zur Lösung gesellschaftlicher Missstände ein, engagieren sich sozial (z.B. durch Ehrenamt) und tragen damit zur Gestaltung einer humaneren Gesellschaft bei. Sie experimentieren mit gemeinschaftlichen Lebensformen (wie z.B. Wohnformen für  Behinderte und Nicht-Behinderten oder für mehrere Generationen unter einem Dach  etc.), die über das typische  traditionelle Kleinfamilien-Modell hinaus gehen. Sie bevorzugen eine gemeinschaftliche Lebensform, in der die individuellen Bedürfnisse und die Bedürfnisse der Gemeinschaft in Balance gebracht werden, unter Ausschließung von Gruppenzwang, Machtmissbrauch  und bloßer Unterordnung.

– wissen, dass wirklich tiefgreifende und nachhaltige Veränderungen lange Zeit brauchen und nicht über Nacht und ohne eigene Anstrengung entstehen. Außerdem ist ihnen bewusst, dass die heutigen (äußeren) gesellschaftlichen Missstände oft auch ein Spiegel eigener (innerer) Missstände sind, und dass sie nur dauerhaft im Außen etwas verändern können, wenn sie auch die Ursachen für die Missstände in sich selbst klären und lösen. Durch kritisches Hinterfragen und Selbstreflektion setzen sie sich mit ihren eigenen Schatten und Schwächen auseinander und nehmen sie als menschliche Begrenzung an. Sie sind daher auch tolerant gegenüber den Fehlern und Unzulänglichkeiten ihrer Mitmenschen eingestellt.

– sind i.d.R. gut informiert über die globalen politischen, ökologischen und wirtschaftlichen Missstände.
Sie arbeiten gemeinsam mit anderen an der Lösung dieser Missstände. Anstatt aber ihre Kräfte im permanenten Kampf gegen das Negative aufzureiben (natürlich ohne sich für das Leid ihrer Mitmenschen und Umwelt zu verschließen), konzentrieren sie sich lieber auf realistische, konstruktive und positive Lösungsansätze.
– bevorzugen nachhaltig, umweltfreundlich und sozialverträglich produzierte Lebensmittel und Produkte. Auch praktizieren sie auf Grund der immer weniger werdenden Ressourcen einen gemäßigten Konsum, nach dem Motto „Weniger ist mehr“. Sie wollen aber nicht nur passive Konsumenten sein, sondern in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld (Nachbarschaft, Gemeinde, Stadtteil etc.) eine nachhaltige und umweltfreundliche Lebenskultur aktiv mit gestalten. Z.B. legen sie eigene ökologische Gärten zur Selbstversorgung an (Gemeinschaftsgärten), unterstützen durch  Einkaufsgemeinschaften ökologische Bauern vor Ort, gründen Unverpacktläden, Tauschbörsen, Repair-Cafes, Nachbarschaftshilfen und Bürgerinitiativen u.v.m.

– lieben und wertschätzen ihre Heimat und ihre geographische Herkunft auf angemessene Weise (aber ohne nationalistische Anwandlungen), gleichzeitig empfinden sie sich aber auch als ein Teil der globalen Menschheitsfamilie und haben daher ein starkes Interesse, sich übergeordnet an der Lösung globaler Probleme zu beteiligen.

– versuchen eine Brücke zwischen Tradition und Moderne und der älteren und jüngeren Generation zu bauen. Sie betonen dabei mehr das Gemeinsame als das Unterschiedliche und bringen damit angeblich Unvereinbares zu einer Synthese 

– legen großen Wert auf soziale, humanistische und ethische Werte und Ideale, aber ohne sich einer bestimmten Ideologie, Partei oder religiösen Glaubensrichtung bzw. Kirche zugehörig zu fühlen. Diese Werte und Überzeugungen bringen sie ohne viel Aufhebens auf stille und doch sehr konkrete und pragmatische Weise zum Ausdruck. Sie wollen aber nicht ihre  Werte anderen aufdrängen, daher ist ihnen politischer oder religiöser Fanatismus oder Extremismus befremdlich. Sie fühlen sich in erster Linie ihrem Gewissen (Innere Stimme), ihren inneren Werten und ihrer Authentizität verpflichtet als sich äußeren gesellschaftlichen und religiösen Normen und Autoritäten unreflektiert unterzuordnen. D.h., sie lassen sich nicht von außen instrumentalisieren, denn sie sind gewohnt, selbstständig und unabhängig zu denken und zu handeln.

– wollen die geistige und irdische Dimension des Menschen in eine gesunde Balance bringen. Eine Religiösität, die sich durch Scheinheiligkeit, bloße Lippenbekenntnisse und übertriebener weltlicher Absonderung oder Elitedenken äußert, ist ihnen eher suspekt. Aber genauso stehen sie einer ausschließlichen materiellen Weltsicht skeptisch gegenüber. Vielmehr begreifen sie den Geist und die Materie als zwei Aspekte des menschlichen Lebens, die es gilt in eine gesunde und ausgewogene Balance zu bringen. Um beide Aspekte ausgewogen zu leben, ist es aber erforderlich, dass Phasen der inneren Besinnung und der äußeren Aktivität sich ablösen. Diese Lebensform ist aber oft schwer mit den Strukturen der immer noch industriell geprägten Arbeitswelt vereinbar, die auf permanente Gewinnmaximierung und Ausbeutung der menschlichen und natürlichen Ressourcen ausgerichtet ist

– sind dabei, die tradierten und einengenden Rollenmuster von Mann und Frau weiter zu verändern und setzen sich für die Gleichberechtigung und die Kooperation der Geschlechter ein. Eine Folge davon ist, dass die Frauen immer mehr verantwortliche und machtvolle Positionen in der Gesellschaft übernehmen. Sie sprechen aber nicht mehr von einem „Geschlechterkampf” (wie es in den Anfangszeiten des Feminismus der Fall war), denn sie wissen, dass trotz aller Unterschiede – die ja eher gering sind – der Mann und die Frau im Wesenskern gleich sind und für die Lösung der partnerschaftlichen und familiären Probleme zusammenarbeiten müssen.
Immer mehr Männer der neuen Generation verweigern die klassischen männlichen Karrierewege  und suchen sich berufliche Betätigungsfelder und Lebensentwürfe, die ihren wirklichen Talenten und Interessen entsprechen und ihnen ermöglichen, wieder mehr Zeit ihrer Familie und ihrem Privatleben zu widmen. Dabei übernehmen sie auch zunehmend Berufs- und Aufgabenfelder, die sonst eher den Frauen zugeordnet waren.

 
Die Zahl der Mitglieder einer „Reifen Zivilgesellschaft“ und damit ihr gesellschaftlicher Einfluss werden in den nächsten Jahren weltweit sicherlich noch ansteigen. Natürlich konnten sich die Merkmale einer reifen Zivilgesellschaft in demokratischen Ländern besser und ungehinderter entfalten als in autoritär geprägten Ländern. Aber zunehmend wirkt sich ihr Einfluss seit dem 21. Jahrhundert auch in den bisher noch autoritär regierten Ländern aus (siehe „Arabischer Frühling“).  In diesen Ländern wächst eine neue Generation heran, die auf Grund der besseren Informationen (siehe Internet) viel aufgeklärter und selbstbewusster ist und sich immer schwerer unterdrücken und manipulieren lässt.
Ich möchte aber an dieser Stelle betonen, dass in den meisten westlichen und industriell geprägten Demokratien zwar oberflächlich gesehen eine relative  Freiheit,  Mitbestimmung und soziale Gerechtigkeit herrscht, aber bei näherer Betrachtung die sogenannte Mitbestimmung des Volkes durch den zunehmenden Einfluss der Lobbyisten von großen Wirtschaftskonzernen und der Finanzwelt immer mehr eingeschränkt wird, mit den negativen Auswirkungen auf  Umwelt und Mensch. So sind z.B. Lobbyisten immer mehr an den inhaltlichen Formulierungen von Gesetzen beteiligt. Durch angeblich erleichternde Freihandelsabkommen, die aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit verfasst werden, werden immer mehr soziale, ökologische Standards und demokratische und juristische Rechte unterlaufen. Es sieht immer mehr so aus, dass von den Regierungen und den Parteien dieser Staaten, keine gravierenden Veränderungen mehr zu erwarten sind,  zu tief sind die negativen Verstrickungen mit der mächtigen globalen Wirtschaft und Finanzwelt, zu tief sind die regierenden Politiker und Entscheidungsträger – mit wenigen Ausnahmen –  in alten überholten Parametern verhaftet.
Die wirklich dringend notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen werden somit wohl kaum von „oben“ kommen, sondern vielmehr von „unten“, von der gesellschaftlichen Basis aus eingeleitet, zu der die derzeitigen Regierungsvertreter zunehmend den Kontakt verlieren. In dieser Hinsicht wird die wachsende “Reife Zivilgesellschaft” zunehmend eine immer wichtigere und entscheidende Rolle spielen.
 

“Meiner Meinung nach müssen alle Menschen ein stärkeres Bewusstsein für die Notwendigkeit einer weltumspannenden Verantwortung entwickeln, wenn wir die Herausforderungen des neuen Jahrhunderts meistern wollen. Jeder von uns muss lernen, nicht nur für sich, seine Familie oder seinen Staat, sondern das Wohl der gesamten Menschheit zu arbeiten und zu sorgen. Es ist heutzutage überholt, in Begriffen von “Mein Volk” oder “Mein Land” zu denken. Verantwortung für die ganze Welt ist der Schlüssel für das Überleben der Menschen auf diesem Planeten. Große, weitreichende Entwicklungen beginnen meist mit einzelnen kleinen Initiativen, so dass es also die Arbeit eines jeden Einzelnen ist, die letztendlich den Ausschlag gibt.”

(Dalai Lama; Zitat aus dem Buch „Dalai Lama,
Tag für Tag zur Mitte finden“, Seite 189,
Verlag Herder Spektrum)

Autor:  Ralf Manthey, Tel. 04103 – 1888730, Email: ralf-manthey[at]online.de

Plogging

Plogging

„Plogging“ sagt die Dame auf der Abendveranstaltung. Sie schaut in fragende Gesichter. Die Dame erläutert: „Das ist, wenn man beim Jogging Müll aufsammelt.“ Aha. Eine neue Trendsportart also, mit griffiger Bezeichnung.
Wikipedia erklärt mir später: „Plogging ist ein Kofferwort, gebildet aus den Bestandteilen „plocka“ (schwedisch aufheben) und Jogging, und steht für eine Natursportart, bei der – zumeist organisiert und mit Handschuhen sowie Abfallbehältnissen ausgestattet – die Vermüllung der Landschaft bekämpft wird.“ Nun ist alles klar.
„Plogging“ denke ich am nächsten Morgen unter der Dusche. Mein Bruder hat gerade eine neue Sportart für sich entdeckt, ich bin etwas neidisch. Soll ich es nun mal mit Plogging probieren? Aber Joggen ist nun gar nicht so meins, das müsste ich dann irgendwie ersetzen. Schon oft habe ich, wenn ich unterwegs war, den Müll anderer Leute aufgesammelt. Ich mag keine vermüllte Landschaft.
Für meinen heutigen Tagesausflug packe ich einen gelben Sack von der Rolle in die Seitentasche meines Rucksackes. Mal sehen.
Es geht zum Trischendamm. Der Trischendamm liegt dort, wo alle Autos HEI DI, HEI NO, HEI KE, HEI NZ und HEI KO heißen, weil ihre Kreisstadt HEI DE heißt. Am südlicheren Westzipfel Dithmarschens ragt der Trischendamm jenseits des Deiches 2,2km in die Nordsee, also ins Wattenmeer, hinaus und verlängert sozusagen der Elbe nördliches Ufer. Schon zu Grundschulzeiten habe ich diesen Damm besucht und komme immer gern mal wieder hierher. Einst habe ich am Ende dieses Dammes meiner Freundin den Verlobungsring aufgesteckt. Und auch mit Kinderwagen und später selbst laufenden Kindern sind wir hier gewesen, aber gern komme ich auch allein hierher. Selbst in Motorradstiefeln habe ich den Weg schon bewältigt. Kurz: ich kenne den Damm seit gut fünfzig Jahren.

Ich parke gebührenfrei in Friedrichskoog und fahre mit dem Fahrrad außendeichs nach Friedrichskoogspitze, schließe das Rad an und beginne meine Wanderung auf den Damm hinaus. Es erstaunt mich, wieviel Müll hier herumliegt. Der meiste Müll liegt auf der nördlichen Seite des Dammes. Ich wandere ganz zum Ende des Dammes, mache brav meine Touristenfotos, die Augen genießen den Blick in die Weite, die Nase die frische Luft, die Ohren die Ruhe, alle sind zufrieden.
Auf dem Rückweg ziehe ich den gelben Sack aus dem Rucksack und beginne den Müll einzusammeln. Die von Wikipedia empfohlenen Handschuhe brauche ich nicht, Finger kann man hinterher waschen. Auch „organisieren“ kann ich mich alleine. Mehr oder minder große Stücke aus Fischernetzten, Luftballons, Plastikflaschen, ein paar (nicht Paar) Schuhe, eine Sandschaufel, Plastikbecher, Plastikfolienstücke jeder Dicke und Größe, eine große, schlickverschmierte Plastikkiste, ein Reibholz (= Fender eines Binnenschiffes aus Holz) mit langem Kunststoffseil daran, Lebensmittelverpackungen aller Arten und Größen, Flaschenverschlüsse, Trinkhalme, ein Plastikeimerchen noch halb voll mit einem Schmierfett, eine Kartusche (so eine wie man sie für Silikon kennt), aber ebenfalls noch teilweise mit Schmiermittel gefüllt, drei große Plastikkanister und vieles mehr sammle ich an den steilen, rutschigen, basaltgepflasterten Flanken des Dammes ein oder angele ich mit bereitliegenden Stöcken aus dem Wasser. Bei auflaufendem Wasser muss ich schon aufpassen, dass ich mir dabei keine nassen Füße hole. Ich turne auf allen Vieren immer wieder an der Wasserkante herum, kralle mich mit den Fingern an den Kanten der Basaltblöcke fest. Ich ersetze also das Joggen in Plogging durch Freeclimbing. Wie bildet man daraus nun ein neues Kunstwort?
Das Reibholz ist ganz schön schwer, bestimmt zwei Kilometer zerre ich es an seiner Leine auf der Dammkrone wie einen störrischen Hund hinter mir her in Richtung Deich.

Friedrichskoogspitze ist gut besucht, der große, gebührenpflichtige Parkplatz hinter dem Deich ist reichlich mit Autos gefüllt. Dementsprechend kommen immer wieder Leute den Damm entlanggewandert und müssen mir zwangsläufig bei meinem Tun ein wenig zuschauen. Bei Vielen verstummt die Unterhaltung für die Zeit der Passage. Sprecht bloß nicht mit dem komischen Mann, der da im Dreck rumwühlt! Ein älterer Mann erzählt seinem Dackel: „Beim nächsten Mal ist dann alles sauber hier!“ und geht weiter. Mit sehr Wenigen wechsele ich ein paar Worte. Ich fasse mein Tun kurz: „Das ist das Mikroplastik der Zukunft. Jetzt ist es noch so groß, dass man es einsammeln kann!“ Erst neulich ging die Meldung durch die Medien, dass man nun sogar in menschlichem Stuhl Mikroplastik nachgewiesen hat. Mehrere meiner Gesprächspartner haben diese Meldung selbst auch gehört.
Auch ein junger Mann von der Schutzstation Wattenmeer geht mit der Gruppe, die er führt, schweigend vorbei. Auch auf dem Rückweg hat er zu tun, er erklärt seinen Gästen gerade irgendwelche politischen Probleme rund ums Wattenmeer.
Ich mache eine Pause, setze mich auf das Podest eines Münzfernrohrs am Deich und futtere Proviant aus meinem Rucksack. Zwei Frauen mit großen Eisbechern, wohl Mutter und Tochter, gehen an mir vorbei auf den Damm. Als ich mein Müllsammeln fortsetze, finde ich dann auch die beiden frisch geleerten Eisbecher am Damm. Ferkel! Hirnbefreit?
Der junge Mann von der Schutzstation Wattenmeer ist seine Besucher los und kommt, zu meiner Überraschung, zurück. Mit den Händen in den Hosentaschen fragt er, warum ich denn den Müll aufsammle. Ich antworte mit Gegenfragen: „Soll ich nicht? Soll das so bleiben? Sieht doch schlimm aus. Ich komme seit vielen Jahren hierher und so schlimm sah es noch nie aus. Liegt wahrscheinlich daran, dass gerade die erste Sturmflut der Saison war.“ Wir unterhalten uns ein wenig. Der junge Mann in blauer Takelbluse mit großem Logo der Schutzstation Wattenmeer darauf, ist BFD, erzählt mir später ein schlauer Schaukasten. Seine Kollegen sind HBFD, FÖJ und ebenfalls BFD, aha. BFD ist wohl mit Bundesfreiwilligendienst zu übersetzen. Das Wort Plogging hat er schon einmal gehört, das machen die in den Städten, sagt er. Er fragt, wo ich denn mit dem Müll bleiben wolle. Ich sage, ich könnte alles bei seiner Schutzstation Wattenmeer vor die Tür stellen, so als Anschaungsmaterial für ihre Ausstellung. Schweigen – welcher Art auch immer. Er erzählt mir, dass sie neulich eine Müll-Kartierung gemacht haben, da war auch ein großer Kanister dabei, der liegt da wahrscheinlich immer noch. Mit den Händen in den Hosentaschen tröstet er mich dann, ich sei ja bald fertig und er müsse dann mal weiter.
Am Deich breite ich alle meine in etwa zweieinhalb Stunden gesammelten Schätze an einer windstillen Stelle in der Abendsonne zum Gruppenfoto aus.

Nachdem ich das Bild im Kasten habe, schleppe ich alles zum Anfang des Trischendamms direkt am Deich und stelle es dort auf wie man seine Mülltonne am Straßenrand zur Leerung platziert. Damit nichts wegfliegt, beschwere ich alles mit dem Reibholz. So lasse ich das Ganze stehen.
Ich blicke zurück den Trischendamm entlang. Ist doch schön, wenn es da draußen jetzt etwas sauberer ist, die Vögel sich wenigstens dort keine Kunststofffasern mehr zum Nestbauen oder zum darin Verheddern holen können.
Meinen gelben Sack nehme ich wieder mit, den kann ich trocknen und nochmal benutzen.
Gerade geht eine Mutter mit zwei kleineren Kindern auf den Damm hinaus. Eins der Kinder führt einen selbstgebauten Drachen mit, so richtig mit vielen bunten Schleifen am Schwanz. Das junge Paar mit der Gitarre in der Hand ist schon weiter draußen.
Weiter draußen auf der Elbe vor Cuxhaven begegnen sich gerade unter der schon tief stehenden Sonne die Contanainerriesen CMA CGM B FRANKLIN (399m x 54m), ONE CONTINUITY (320m x 46m) und NYK EAGLE (364m x 51m). Die bringen bestimmt ganz viele tolle neue Produkte aus Plastik!
Ich radele zurück nach Friedrichskoog. Am mausetoten Hafen suche ich das Haus der Schutzstation Wattenmeer auf, aber dort ist niemand mehr, dem ich erzählen könnte, wo sie den Müll nun gesammelt abholen könnten.
Der Hafen von Friedrichskoog ist nach langem Kampf der örtlichen Bevölkerung gegen die Landesregierung nun wirklich mausetot, weil die Landesregierung die Deichschleuse, durch die früher Kutter und Segler fuhren, in ein Schöpfwerk hat umbauen lassen. Die alten Schleusentore liegen noch gestapelt auf dem Hafengelände.
Früher war der Hafen voll mit Krabbenkuttern und Booten, drumherum gab es mehrere Gastronomiebetriebe sowie eine Werft. Alles Geschichte.
Auf dem großen Parkplatz am Hafen war schon bei meiner Ankunft eine Ansammlung von großen, geschlossenen Kleinlastwagen mit polnischen und bulgarischen Kennzeichen. Offenbar sammeln sie in dieser Gegend den Sperrmüll ein, der aktuell überall vor den Häusern auf dem Bürgersteig steht. Als ich zu meinem Auto zurückkehre, sind dort gerade wieder vier der Fahrzeuge versammelt und die Fahrer zeigen sich gegenseitig, was an metallhaltigem Müll sie ergattert haben und tauschen dies und das hin und her.


Wäre doch toll, wenn sich auch mal Leute finden würden, die sich für Plastikmüll interessieren und den einsammeln. Aber dazu muss wohl auf jedem Fitzel Pfand drauf sein, sonst fehlt es an der nötigen Motivation.
Durch die mit Weißkohl und Rotkohl und weißen, rot blinkenden Windrädern bestandenen Felder der Köge Süderdithmarschens mache ich mich auf den Heimweg. Mir fällt ein, dass auch Flagge und Wappen Dithmarschens im Wesentlichen in den Farben Rot und Weiß gehalten sind, gibt es da etwa einen Zusammenhang?
Im Rückspiegel sehe ich den letzten orangen Sonnenstreifen am Horizont verschwinden.

Text und Bilder: JK, 2018-10-29